Als Ruderer mag man es normaler Weise flach … sehr flach … spiegelglatt ist am Besten. Dann ist das Rudern ohne äußere Störfaktoren möglich und das durchs Wasser gleiten entwickelt sich zu einem wahren Genuss. Wenn es im Winter dann statt Rudern Laufen heißt, führt die Strecke im Berliner Flachland auch meist flach durch den Wald. Dieses Jahr dachten sich Martin und ich aber mal: Wieso machen wir unser Ausdauerlauftraining und stellen uns dann nicht einem Lauf- statt Ruderwettbewerb? Gesagt, getan. Halbmarathon in Berlin? Nö zu flach, Trailrunning.
Was ist Trailrunning?
Einfach gesagt, ist Trailrunning ein Waldlauf. Es geht um ursprüngliches Laufen in der Natur abseits von asphaltierten Straßen. Es geht also über Stock und Stein … bergauf, bergab … durch Matsch und Moder. Die Österreichische Trailrunning Association hat unterschiedliche Streckenlängen klassifiziert:
- Speed Trail bis 30 km
- Marathon Trail 40-60 km
- Endurance Trail 70-110 km
- Ultra Trail ab 110 km
Die Streckenlänge und das Terrain der Alpen lassen erahnen, dass geht nicht ohne entsprechende Vorbereitung, die richtige Ausrüstung und diszipliniertes Training. Trailrunning ist dazu noch technisch sehr anspruchsvoll, da sowohl bergauf, aber vor allem bergab jeder Tritt sitzen muss.
Daten und Fakten
Zu Himmelfahrt ging es dann nach Österreich ins Salzburger Land. Nach 2 Tagen mit ruhigen Wanderungen, ging es am 01.Juni dann zum 5. Hochkönigman. Wir entschieden uns für den Speedtrail mit 22,5 km und etwa 1350 hm („Dieser Weg wird kein leichter sein, …“ von Xavier Naidoo kommt mir da in den Sinn). 2 Berliner Ruderer neben 500 Startern aus aller Welt (z.B. Frankreich, Neuseeland und Japan) und den Teilnehmern der Österreichischen Meisterschaften. Im Laufe der fortschreitenden Vorbereitung auf den Wettkampf in den Müggelbergen hatten wir unsere Zielstellung mehrfach nach oben korrigiert und nun war es so weit. 10 Uhr – Startschuss – los! Das Wetter zum Wettkampftag: Sonne mit etwas Wolken, 22 °C – einen Tag zuvor waren wir noch bei 5 °C im Schnee wandern.
Das Rennen
Nach ein paar Metern durch den Ort von Maria Alm am Steinernden Meer ging es 3 km und 450 hm hinauf zum Gipfel des Natrun. Es dauerte nicht lange und aus dem Joggen wurde ein gerade noch zügiger Wanderschritt. Nach einem kurzen Abstieg über eine Alm, ging es durch Waldpfade und über zahlreiche Wurzeln 200 hm hinauf zum Brimbachkögerl. Es folgte wieder ein kurzer Abstieg über teils matschige Almwiesen bevor es zum nächsten Aufstieg ging. Die gut 2 km und 200 hm zum Massingsattel hinauf forderten mir alles ab, obwohl die Steigung gar nich t so extrem war. Es ging in ständigen Wellen (kurzes Bergab und wieder Bergauf) über schmale Pfade, Wurzeln, Baumstämme, kleine Bäche, die den Weg zusätzlich rutschig machten, immer am Hang entlang. Ich stellte mir vor dem Lauf die Frage, welches Körperteil mir heute die Grenze aufzeigen wird: der Puls bzw. das Herz-/Kreislaufsystem, Krämpfe der Muskulatur, die Energiebereitstellung des Stoffwechsels oder die Lunge? Es war letzteres – meine Lungenflügel brannten wie noch nie. Doch als es aus dem Wald raus ging, war das Teilstück endlich geschafft und es folgte ein Moment zum Genießen. Die Strecke führte nun kurz über einen breiten Schotterweg entlang von Almwiesen mit einem herrlichem Talblick auf Maria Alm, Saalfelden und das dahinterliegende Bergpanorama. Der Genießermoment war jedoch nur von kurzer Dauer. Nun ging es 2 km bergab und dass mit 500 m Höhenunterschied – also sehr steil. Erst im zick zack auf einem Pfad über eine Almwiese mit rutschigen Steinen und dann durch einen Wald. Die Wurzeln bildeten quasi Treppenstufen – sehr ungleichmäßige. Hier war Konzentration bei jedem Schritt gefordert und gleichzeitig sollte aber die Energie der Erdanziehung beim Bergablauf genutzt werden. Im Tal angekommen war in Rohrmoos eine Verpflegungsstation: Wasser, gesüßten Tee, Banane und noch vieles mehr. Kurzes Durchschnaufen nach 12 km – Zwischenzeit etwa bei 1 h 45 min.
Weiter geht’s! Die nächsten 2,5 km sind „fast“ flach und führen an ein paar Bauernhöfen mit Landluft und zahlreichen anfeuernden Zuschauern vorbei, bevor es auf einem Forstweg den letzten großen Anstieg hoch geht – 2,5 km und 450 hm. Fast keiner versucht zu joggen. Das Feld staucht sich zusammen. Alle schnaufen und versuchen so gut sie noch können zügig bergauf zu laufen. Die ersten halten kurz an und dehnen sich. Der letzte Kilometer geht durch ein Flussbett, über Kies und Felsbrocken berghoch. Als ich den Wendepunkt erreiche, frage ich die dortigen Streckenposten, ob das jetzt der höchste Punkt ist – „ja“. Nach einem kurzen Freudenschrei warten die letzten 4,5 km mit 600 hm bergab. Zunächst geht es einen Forstweg parallel zum Flussbett entlang. Bergab nehme ich die Energie voll mit, ziehe die Schritte lang, fliege quasi und lande nur kurz auf dem Vorderfuß. Wie im Flow überhole ich ein paar Läufer. Dann geht es über einen quer liegenden – im 1 m hoch im Schnee eingebetteten –Baum. Es folgt ein kurzer leichter Anstieg. Und der Flow bergab kann weiter gehen. Das Feld ist bei dem hohen Tempo bergab weit auseinandergezogen. Auf den Waldpfaden muss ich zum ersten Mal richtig auf die Streckenmarkierung achten, da ich keinen Läufer vor mir sehe. Die Bäume rauschen an mir vorbei bis es auf eine Wiese geht. Ich sehe eine Gruppe vor mir und denke – die schnapp ich mir. Mit weiten Schritten renne ich durch hohes Gras und fühle mich wie ein junges hüpfendes Reh. Laufen wie im Flug oder das Rudern mit einer perfekt harmonierenden Mannschaft. Ein herrliches Gefühl mit Suchtgefahr!
Mit Blick auf Maria Alm ist die Gruppe schnell überholt und gleich noch ein paar weitere Läufer, bevor es in den Ort geht. Zum ersten Mal seit dem Start habe ich wieder Asphalt unter meinen Füßen. Im Ortskern angekommen ist die Strecke auf einmal wieder flach. Ich entdeckte 2 Läufer vor mir. Hole ich die noch ein? Es geht über eine kleine Brücke – der hintere rechte Oberschenkel zwickt. Ich hole keinen mehr ein. Nach ein paar Kurven durch den Ort geht es zum Zieleinlauf ins Eventzelt – Geschafft! Nach dem Blick auf die Uhr kann ich es kaum glauben. Glücksgefühle, Endorphine im ganzen Körper. Boa … Goil!
Nach dem Rennen
Nach dem Zieleinlauf treffe ich einen weiteren Berliner – so klein ist die Welt. Während ich auf Martin warte, versorge ich mich mit Bananen, Melone und Flüssigem. Das Programm am Nachmittag: Zieleinläufe beobachten (jeder wird durch die Moderatoren angekündigt), mit anderen Läufern unterhalten, duschen, Massage (nach schmerzhaftem Durchkneten sind die Beine wieder federleicht), Nudeln essen, die Atmosphäre im Partyzelt und den Moment genießen.
Wahnsinnsveranstaltung: Top organisiert, sehr gute Versorgung, super Stimmung, tolle Moderation und Partystimmung im Eventzelt, sehr schöner und anspruchsvoller Lauf, bombiges Wetter und überraschende Ergebnisse von uns. Respekt vor den Teilnehmern der anderen (und noch viel längeren) Läufe!
Empfehlung
Auf der Suche nach einer (neuen) Grenzerfahrung? Dann Trailrunning!
Mit rudersportlichen Grüßen
Tobias Wittenbecher